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Die Geistersammlung
Es war ein furchtbar verregneter Tag, einer jener stinklangweiligen Sonntage, an denen man keinen Fuß vor die Tür setzen kann, ohne nass zu werden. Gottseidank passiert mal was: das Telefon klingelt. Am anderen Ende eine Frau mittleren Alters, die von unseren Vorführungen gehört hat. Sie hätte eine Sammlung zu verkaufen und ob ich mir das mal ansehen möchte. Na klar, diese Abwechslung schickt der Himmel ! Nix wie rein ins Auto und kurze Zeit später erklärt sie mir mit ernstem Blick den tragischen Hintergrund. Ihr Bruder war vor 20 Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Die Mutter war daraufhin so entsetzt, dass der Dachboden verschlossen wurde und niemand die kleine Welt Ihres Sohnes betreten durfte. Jetzt war auch die Mutter verstorben und wir standen vor der ewig verschlossenen Tür zum Dachboden, um sie zu öffnen. Die Spannung war fast unerträglich, denn niemand wusste, was hinter dieser Tür war.
Als wir in den Raum gingen, betraten wir eine Geisterwelt. Spinnweben überall, zentimeterdicker Staub auf der Anlage und in den Regalen. Unzählige, teils geöffnete Kisten und Kartons. Ein halbmontierter Plastikbahnhof. Auf dem Werktisch lagen angefangene Kabellitzen und Werkzeuge. Handzeichnungen zeugen von Anlagenplanung. Ein großer Behälter für Rauchöl, total leer. Der Inhalt war über die Jahre verdunstet. Eine wie zufällig abgelegte Lesebrille. Wäre da nicht all der Staub, würde man jeden Moment auf das Eintreten des Besitzers warten. Der blaue Blech - Märklintrafo aus den 50er Jahren stand genau unter dem Dachfenster. Als ich ihn anfasste, bekam ich blaue Hände - die Sonnenstrahlung hatte den Lack zu Pulver zersetzt. Einige Blechwagen unter dem Fenster waren auf einer Seite grau und auf der „Schattenseite" noch im unbeschädigten Originalzustand. Kunststoffwagen zerbrachen in meinen Händen, als ich sie begutachten wollte. Die Sonne hatte ganze Arbeit geleistet. Nicht nur der Erbauer, auch die Anlage war tot. Völlig unbrauchbar. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die Anlage voll bestückt dieser zerstörerischen Kraft ausgesetzt gewesen wäre. Sie war nur halbfertig und außer dem Lokschuppen und dem Blechbahnhof gab es noch keine Gebäude darauf.
Aber wo sind eigentlich die Züge und Wagen? Das hier kann`s doch nicht gewesen sein. Dahinten in der Ecke ein alter Schrank mit verschlossenen Türen. Also, Türen auf, mal sehen, welche Vorlieben er hatte. Ich trat ehrfurchtsvoll einen Schritt zurück. Klein aber fein ! Der Herr hatte Geschmack. Die Modelle waren nicht sehr alt, aber im Topzustand. Mint and boxed, würden die Engländer dazu sagen. Nachkriegszeit bis späte 60er Jahre und einige wenige um 1980. Keine Neueren Modelle. Man kann den Todeszeitpunkt des ehemaligen Besitzers an den letzten Modellen erkennen, die er gekauft hat. Bei näherem Hinsehen die fast erwartete Erkenntnis: Keines der Modelle war je gefahren worden. Natürlich nicht ! Denn die Anlage war ja noch gar nicht betriebsbereit.
Es dauerte einige Zeit, bis alles verpackt und ins Auto verladen war. Das Gesicht der Frau hellte sich für einen Moment auf, als wir uns über den Preis einigten. Sie war sicher auch darüber froh, dass die alte Last der Erinnerung in gute Hände kam und bald wieder jemandem Freude machen würde. Später würde ich wiederkommen und die Anlage aus dem Dachboden entfernen und entsorgen. Hier kann man nämlich ein schönes Zimmer einrichten.
Tja, wie verlief der Rest des nun spannend gewordenen, freien Tages? Auspacken, begutachten, freuen, testen, säubern, ölen, wieder testen, Wagen anhängen, kuppeln, rangieren, Freunde anrufen. Ich hab` hier was, das würde ich tauschen gegen..... Es wurde sehr spät an diesem Abend. Dann zum Schluss der Gedanke zurück an den vergangenen Tag. Welche Schicksale man da hört. Ganz schön gruselig, und wieder eine Geschichte, die man Freunden erzählen kann, die dafür einen Sinn haben.
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